Caroline Gutberlet

Literaturübersetzung • Lektorat • Korrektorat

Französisch–Deutsch • Italienisch–Deutsch

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berliner szenen: Die Frau im Fenster

Lächeln am PC
Immer wenn ich die Husemannstraße auf dem Weg zu Rossmann herabgehe, sitzt in einem der vielen Büroschaufenster eine Frau und arbeitet an ihrem PC. Das ist nichts Besonderes für Prenzlauer Berg, denke ich, die hippen Menschen lassen sich gerne beim Arbeiten zusehen, vielleicht wird ihnen dadurch nicht so schnell klar, dass es Blödsinn sein könnte, was sie da gerade machen.
Sie ist anders. Sie will gar nicht mehr hip sein. Sie sitzt einfach vor ihrem schicken Flachbildschirm und arbeitet. Wann immer ich nun vorbeigehe, lächelt sie mich an, einfach so. Das finde ich großartig. Ich bilde mir ein, dass hier in Prenzlauer Berg nicht besonders viele Menschen lächeln, die meisten haben wohl Angst, für schwul oder uncool gehalten zu werden oder für ganz und gar ohgottohgott. Das ist natürlich eine vollkommen unbegründete Angst, und sie hat das verstanden, sie ist da schon ein wenig weiter als die meisten hier. Das kommt wahrscheinlich mit dem Alter, denn sie ist bestimmt zehn Jahre älter als ich. Ungemein beruhigend, denke ich, vielleicht kann ich in zehn Jahren auch einfach mal so Menschen anlächeln.
Manchmal möchte ich sie ansprechen, meistens wenn ich von Rossmann zurückkomme. Dann will ich sie zum Essen, Kino oder Kaffee einladen, denke mir lustige Sprüche aus, die ich auf Zettel schreibe und so an ihr Fenster klebe, dass sie es lesen kann. Doch ich sollte es nicht übertreiben und einfach zurücklächeln. Ihren Service dankbar entgegennehmen, denn besser geht’s mir nach dem Angelächeltwerden auf jeden Fall. Wahrscheinlich lächelt sie tatsächlich jeden an, der an ihrem Fenster vorbeikommt. Daran sollte man sich ein Beispiel nehmen: andere anlächeln, einfach so, weil man es kann.

CHRISTOPHER LAUER

(Abdruck mit freundlicher Genehmigung der taz, Berlin im Oktober 2018; zum Originalartikel geht es hier: https://www.taz.de/!455780)